In der Nachfolge Jesu Dienst tun - Ihm nachfolgen
Jesus hat uns mit einer einfachen Geschichte aufgezeigt, was es heisst, in seinem Dienst zu stehen. Der Samariter wendet sich dem Überfallenen zu. Liebevoll erzählt Jesus sogar die Einzelheiten. Er tut ihm leid! Er geht zu ihm hin! Er versorgt die Wunden und verbindet sie! Er hebt ihn auf! Er pflegt ihn! Er bringt ihn in eine Herberge! Er bezahlt für ihn.
Ein Tun, wie ER tat.
Der Samariter hat nicht gefragt: "Wer bist du? Woher kommst du? Was denkst du?" Er hat auch nicht gefragt, wer sein Nächster sei - er hat aber alles getan, einem anderen Menschen ein Nächster zu sein, ein Vertrauter. In der Barmherzigkeit. In der Zuwendung. Es gibt jetzt keine Grenzen mehr. Der barmherzige Samariter schenkt neue, gute Erinnerungen.
Eins durchzieht diese Geschichte, wie ein roter Faden, wie ein Grundakkord: Barmherzigkeit ist, wenn ein Mensch dem anderen zum Nächsten wird, sich ihm zuwendet, ihm gibt, was er jetzt braucht. Ohne Ansehen der Person.
Eigentlich ist die Geschichte in einem Streitgespräch entstanden. Jesus wird von einem Schriftgelehrten herausgefordert. Seine Frage, alles andere als banal: "Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen." Nur so einfach ist das nicht. Wenn es darum geht, was ich "tun" muss, helfen auch Gelehrsamkeit, Erfahrung und Ansehen nicht. Was ich "tun" muss, steht auch in keinem Buch, auf keiner Internetseite, das habe ich nicht einmal als Vorrat in meinem Kopf.
Jesus erinnert den Schriftgelehrten, der ihn mit Meister anredet, an das, was "geschrieben" ist. Das ist dann auch schnell zitiert: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst". Das höchste Gebot, sagt man. Es fasst alles zusammen. Immer wieder heisst es: "ganz" - ganzes Herz, ganze Seele, mit all deiner Kraft, mit all deinen Gedanken. Der ganze Mensch soll Gott ungeteilt lieben - und den Nächsten wie sich selbst.
Gott hat alles gegeben! Sich selbst! Er hat nichts für sich zurückbehalten, reserviert oder versteckt. Ganz! Alles! Jesus sagt darum auch: "Du hast richtig geantwortet. Handle danach, und du wirst leben."
Jetzt kommt die Frage: Wer ist mein Nächster?
Für Jesus ist die Frage so echt, dass er dazu eine Geschichte erzählen muss. "Ein Mann ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen."
Der Schriftgelehrte hört aufmerksam zu. Ob er wohl schluckte, als Jesus erzählt, dass Priester und Levit vorübergehen? Dabei immer betont: "und als er (der Priester, der Levit) ihn sah". Die beiden sind nicht in Gedanken versunken. Sie sehen - und gehen vorüber. Hatten sie keine Zeit? Eine schlechte Ausrede. Wollten sie sich nicht verunreinigen, sozusagen sauber zum Dienst erscheinen? Aber man lässt doch keinen Menschen links liegen, und dann auch noch "halbtot". Nein, Beweggründe lässt Jesus nicht einmal zu. Sie haben "gesehen"!
Der Samariter aber, ein Ausländer, dem kein guter Ruf vorauseilte, dem kein guter Gedanke entgegenkam, vom dem man keine Barmherzigkeit erwartete und ihm auch keine Gnade gewährte - der hielt auf seinem Weg an. Liebevoll kümmert er sich um den armen Tropf am Wegrand.
"Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?" Nur eine Antwort ist möglich. "Der die Barmherzigkeit an ihm tat!"
Fragen wir uns: "Wer ist mein Nächster" Wer ist wem Nächster? Wem bin ich Nächster?
Wer fragt: "Wer ist mein Nächster?", fragt auch: "Wer ist es nicht?" Und lässt sich Türen offen. Ich entscheide dann von Fall zu Fall. Ich suche mir den Nächsten aus. Ich könnte sogar Gründe benennen. Wer sich aber fragt: "Wem bin ich Nächster?", findet sich in einer Beziehung vor, die gegeben ist. Der kann schuldig werden, sich verantworten, einen neuen Anfang wagen. Aber eins kann er nicht: sich heraushalten, sich hinter Ausreden verbergen, sich freisprechen. Vor allem: Der andere Mensch steht nicht zur Wahl.
Diese Geschichte lässt uns ahnen, was es heisst, in seinem Dienst zu stehen. Sie verändert Menschen! Das gleiche tun - der Schriftgelehrte weiss noch nicht, wie es ihm damit ergehen wird. Sicher ist: Es kann keiner mehr so bleiben, wie er vorher war. Alle kommen verändert aus dieser Geschichte heraus: Der Samariter, der Priester, der Levit, aber auch der Überfallene - und eben der Schriftgelehrte. Die Geschichte trennt nicht, verurteilt nicht, bringt aber zusammen - und öffnet die Augen und Herzen.
Das höchste Gebot selbst birgt eine grosse Geschichte in sich: Gott ist dir Nächster geworden. Er hat dich gesehen und sich in dich verliebt. Er kann dich nicht mehr lassen. Da wacht ein Mensch auf. Fremde Umgebung, fremde Stimmen. Ein anderer Mensch sieht nach ihm. Was ist denn passiert? Wie komme ich hierher? Er schaut sich um, er hört das Knobeln draussen, Rauch liegt in der Luft: Er ist in einer Gaststätte. Der Wirt setzt sich an sein Bett. Der Kopf dröhnt. Alles tut weh. Langsam kommt die Erinnerung wieder. Da war doch diese schreckliche Wegstrecke. Und dann der Überfall. Es ging alles so schnell. Fast tot geschlagen, beraubt, an den Strassenrand geschmissen.
Der Mann hat seinen Retter nie mehr gesehen, seinen Namen nicht erfahren, nie Danke sagen können. Aber es hat ihn auch nicht mehr losgelassen: Das Leben ist ihm neu geschenkt worden. Von einem, dem er es nie zugetraut hätte. Irgendwann rutscht es vom Kopf ins Herz: "Von dem hätte ich es nie gedacht, nie erwartet, nie gewollt ?"
Zugegeben: Grosse Taten werden von uns Menschen mit Namen verbunden. Zu dem Namen gehört ein Gesicht. Gesichter lassen sich zu Denkmälern formen. Gesichter können abgebildet werden. Gesichter werden wieder erkannt. Der barmherzige Samariter aber hat keinen Namen. Ihm fehlt das Gesicht. Was von ihm übrig bleibt, ist seine Herkunft: Samariter. Ein Fremder. Nicht einmal das Wort mochte man in den Mund nehmen. Er ist einfach weg. Ich kann ihn nicht mehr fragen. Was er gemacht hat, ist aber gegenwärtig, lebt, wirkt weiter.
Er ist für alle, die Jesus nachfolgen, zum Vorbild geworden.
(Für Sie zusammengestellt von Sr. Pirmin)
Januar 2005