Portrait Sr. Euphemia

Die Wurzeln. Mein Eintritt ins Kloster St. Ursula, Brig, erfolgte im Jahr 1954. Der Grundstein dazu wurde wohl schon in meinem Vaterhaus gelegt. Mein Vater, ein Protestant, der so schön über seine Familie beten konnte und seine Sonntagspredigt nie versäumte, und meine Mutter, der die heilige Messe nicht nur religiöse Pflicht bedeutete, halfen mein Leben zu prägen. Mit 15 Jahren war es mir vergönnt, zwei Jahre in einem Institut in England und ein Jahr in einem in Frankreich zu verbringen. In der High School in England begegnete ich in meinen Lehrerinnen zum ersten mal Ordensfrauen. Ihre Lebensaufgabe und ihr Beispiel zeigten mir das "MEHR" auf: Gott in ganzer Hingabe anzugehören und dennoch sorgende Mutter für viele sein zu können. Mein Beschluss diesem Lebensstil zu folgen, war gefasst. Noch war ich zu jung dazu. Zuerst durfte sich noch mein Wunsch, Kindergärtnerin zu werden, verwirklichen. Mitten in meine Tätigkeit, in meinem Stücklein Paradies im Kindergarten im Waldenburgertal, erscholl wiederholt der Ruf des Herrn, ihm nun in der Ganzhingabe zu folgen.

Im Kloster. Die Pforten des Klosters St. Ursula luden mich zum Eintritt ein. Eine aufgeschlossene Novizenmeisterin führte uns geduldig durch die ersten Jahre des klösterlichen Lebens. Das gemeinsame Gotteslob schuf gleich das Gefühl der schwesterlichen Zusammengehörigkeit. Nach der Noviziatszeit wurde ich noch zur Primarlehrerin ausgebildet. Hernach wieder beglückende Arbeit mit Kindern in der Primarschule, wo wir uns bemühten, ihnen neben dem Lehrprogramm viele echte Werte mit auf den Lebensweg zu geben.

Mütterlichkeit kommt nicht zu kurz. Nebst unseren eigenen Ferien auf dem Simplon, bot sich uns auch Gelegenheit, in Kolonien erholungsbedürftige Kinder zu betreuen. Eine schöne mütterliche Verantwortung lag auf uns. Gerne erinnere ich mich an viele sonnigen Stunden mit unsern Schützlingen in der herrlichen Bergwelt, aber auch an dunkle Wolken. Z. B. als unser jüngstes Büblein - 4 Jahre alt - sich in Dunst aufgelöst zu haben schien. Es war zur Siesta ins Bett gelegt worden, aber das Bett fand sich später einfach leer. Alles bange Suchen und Rufen in Haus und Umkreis schien nutzlos - und die Rhone so nah! - Herr, hilf! "Beim Herrn ist kein Ding unmöglich", hatte ich von Kind auf gelernt. Richtig! Nach flehentlichem Gebet auf allen Wegen trat ich in die Kapelle. Da lag es ja, unser herziges Blondschöpflein, auf dem harten Holzboden, unter dem Altartisch, selig schlummernd, sein Köpfchen auf ein Kissen gebettet. Heisses Dankgebet stieg zum Himmel. Warum er das getan habe, wollte ich wissen. "Weil ich das Christkindlein in der Krippe sein wollte." Wo er das wohl abgeguckt hat?

Pensioniert, aber noch immer "im Dienst". Es folgte die Pensionierung. Austausch der Primarschüler mit Erwachsenen, meist Ausländer, für Sprachstunden. Auch da bleibt mir nicht nur die Vermittlung von Wissen. Einmal Vertrauen gefasst, öffnen sich die Seelen und sind dankbar für ein Stücklein "Heimat", das ich durch Anteilnahme und Verständnis mitgeben darf. Jetzt schliesst sich der Ring an meinem Lebensbaum zum 90. Mal, und ich kann noch immer nach der Gesinnung von Anna von Xainctonge für meine Mitmenschen da sein.

Sr. Euphemia Lehner

(Stand Juni 2004)

Nachtrag: Am 9. Dezember 2012 ist Sr. Euphemia im hohen Alter von 97 Jahren gestorben.

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